150 Jahre Leipzig-Dresden - an der Strecke

Nachdem das Jubiläum der ersten deutschen Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth im Jahr 1985, für mich unerreichbar, würdig begangen wurde, stand nun im Jahr 1989 wieder ein solches an: Die erste deutsche Ferneisenbahn zwischen Leipzig und Dresden wurde 150 Jahre! Und so fand am 08./09.04.1989 die sogenannte Cavalcade in den Elbauen vor den Toren Riesas statt, zu der aus der ganzen DDR die einsatzfähigen Dampfloks sowie unzählige Diesel- und E-Loks zusammengezogen wurden. Auch ein Nachbau der "Saxonia" wurde rechtzeitig fertiggestellt und präsentiert. Eine Eintrittskarte zur Tribüne blieb unerreichbar, auch mußte ich an diesem Wochenende für einen erkrankten Kolegen einspringen. Aber da fiel mir die Fplo 11000 in die Hände, mit den Zuführungsfahrten, welche sich über den gesamten 07.04.1989 erstreckten, einen Freitag. Dampf pur zwischen Dresden-Altstadt und Priestewitz, und ich hatte frei.....!

Und so finde ich mich um Mitternacht des 07.04.1989 auf dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg ein, besteige einen der schummrigen und immer leicht muffigen CFR-Wagen des D 373 "Balt-Orient-Express", verschlafe die etwas über zweieinhalbstündige Bahnfahrt nach Dresden und finde mich kurz vor 03:00 Uhr auf Bahnsteig 5 des ziemlich menschenleeren Dresdner Hbf wieder. Gegen die Müdigkeit in den Gliedern hilft ein strammer Fußmarsch nach Dresden-Altstadt zur Löbtauer Brücke, von welcher aus das Bw Dresden-Altstadt recht gut zu überblicken ist. Hier restaurieren in dieser Nacht die aus der ganzen DDR zusammengezogenen Dampfloks!

Ein bißchen fühlt man sich ja beim Blick auf den nächtlichen Betrieb an alte Zeiten erinnert, als hier noch die 01'er stationiert waren! 03 1010 steht am Wasserkran, dahinter eine lange Schlange wartender Lokomotiven: 58 3047 (auf dem Bild rechts dann vorgerückt), 02 0201 und 01 1531 auf dem Randgleis, dahinter ein auf der Freiberger Strecke vorbeifahrender Zug! Und im Lokschuppen dampft die Kriegslok 52 6666.

Und man kommt kaum mit den Stativaufnahmen hinterher, zumal die (zum Glück!) nicht sehr zahlreich zu dieser Zeit die Brücke überquerenden Autos diese immer mal wieder erzittern lassen, so daß manche Bilder verwackeln. 50 3047 ist gerade über die Drehscheibe verschwunden, da folgt schon der Rollwagen 38 205 an den Wasserkran. Und plötzlich verläßt 52 6666 den Schuppen, wird gedreht und verschwindet in den weitgestreckten Gleisanlagen des Bw.

Lange brauche ich nicht zu warten, schon rumpelt 86 049 nach dem Wassernehmen auf die Drehscheibe und verharrt dort sogar ausreichend lange, um ein Bild zu machen. Aber schon wartet 94 1292 am Wasserkran. Aber nun habe ich keine Zeit mehr, laufe zurück zum Hbf, sacke dort zwei Brötchen und einen Kaffee in der MITROPA ein und fahre nach Dresden-Neustadt, wo ich auch glücklich gerade noch P 7742 erreiche, Abfahrt 06:20 Uhr.

Niederau heißt mein Ziel nun, pünktlich um 06:48 Uhr stehe ich dort auf dem Bahnsteig. Langsam geht die Sonne auf, noch ist es zu dunkel, um D 970 zu fotografieren, aber beim nächsten Zug versuche ich es schon mal: 243 317 surrt mit D 486 aus Warszawa heran, kenntlich am hinter der Lok laufenden WARS-Schlafwagen. Und im Abstand dahinter rollt die erste Überführungsfahrt heran: Sdz 93307 von Dresden-Altstadt nach Weißig (b Großenhein), geführt von 94 1292, dahinter die kalten 93 230, 92 503 und 91 134, gefolgt von der arbeitenden 95 027, von der kalten 78 009 und am Schluß der Bulle 95 6676, ebenfalls kalt. Im Blockabstand röhrt danach 132 342 heran, sie will mit E 992 nach Angermünde. Ein klassischer Heckeneilzug, würde man im Westen wohl sagen, wenn auch die Zuglänge diesen Rahmen etwas sprengt.

Nun geht es Schlag auf Schlag! Langsam rollt Sdz 93316 in das Überholgleis. Gegen 02:00 ab Großbothen gefahren, hat er sich durchs Muldental herangekämpft, 44 1378 hat in Nossen noch einmal Betriebsstoffe aufgenommen, und nun wird die Fuhre mit der kalten 52 9900 und 5 Massengut-Güterwagen hier von D 442 nach Köln überholt. Aber wer wird denn da mit dem Lokführer verhandeln? Na, auf jeden Fall erfolgreich, denn nach Hebern der Flügel des Ausfahrsignals C um 08:47 Uhr legt 44 1378 eine Bilderbuchausfahrt hin!

Aber nun weiter! Ich verlasse Niederau in Richtung auf den Oberauer Einschnitt. In einer weiten Kurve verläuft die Strecke dorthin. Schon am Einfahrsignal überholt mich 52 6666, die Kriegslok dampft gegen 09:30 Uhr auf der Fahrt nach Weißig mit ihrem Behelfspersonenwagen als Sdz 93315 vorbei, das Einfahrsignal steht dagegen schon auf Fahrt für den Gegenzug 93365, den Cottbusser Beitrag zur Cavalcade: 44 1106 und 52 8200 rollen zusammen mit der kalten 43 001 in Richtung Dresden-Altstadt vorbei. Und nach einer Zugpause, ich habe inzwischen einen Acker etwas weiter weg erreicht, wird es elektrisch: E18 31 und E04 01 rollen mit einem Postwagen im Schlepp vorbei, 93362 kommt von Leipzig Hbf und will zum Dresden Neustädter Gbf, um dort weitere Postwagen aufzunehmen.

Noch ehe ich den Oberauer Einschnitt erreicht habe, dampft 86 001 heran, im Schlepp eine wunderschöne Personenzuggarnitur. 93311 will nach Priestewitz. Hätte ich den Strommast lieber wegretuschieren sollen? Nun, schnell zum Einschnitt, gegenüber dem Obelisken, welcher an den 1934 aufgeschlitzten ersten Ferneisenbahntunnel Deutschlands erinnert, findet sich ein nicht nur für Hanghühner geeigneter Fotoplatz. Und schon rollt Sdz 93302 heran: Da man 89 6009 die Beförderung der kalten 55 669 und des auf 4 Sm-Wagen aufgebockten Radebeuler Schmalspurzuges alleine nicht zutraut, ist diesem 112 672 vorgespannt.

Zu den Besonderheiten dieser Tage gehört auch, daß zur Entlastung des für die Cavalcade benötigten Streckenabschnitts zwischen Zeihain und Riesa diverse Güter-, aber auch Personenzüge über Röderau-Falkenberg umgeleitet werden. Das geht natürlich im Jahr 1989 nur mit Diesellok, wobei auch "Diesel unter Fahrdraht" bis Dresden hinunter in kauf genommen wird. So rollt auch dieser Dg, befördert mit Vorspannlok 120 337, auf der Fahrt nach Dresden-Friedrichstadt, durch den Einschnitt. In der Gegenrichtung dagegen folgt gegen 11:30 Uhr Sdz 93312 mit einer Sammlung kleinerer Einheitsloks: 62 015, dahinter das "Steppenpferd" 24 004, der "Bubikopf" 64 007, beide leider kalt, danach die arbeitende 86 049 und dahinter 80 023.

Schnell ist die am Ende des Oberauer Einschnitts befindliche Blockstelle Gröbern erreicht. 118 793 brummt mit ihrem Dg vorbei, auch dieser wird wohl über Falkenberg umgeleitet. Sdz 93313 folgt, 44 1093 hat sich aus dem Leipziger Raum mit ihren beiden Selbstentladewagen durchs Muldental, mit Restaurieren in Nossen, gekämpft und wird in Kürze ihren Aufstellort für die Cavalcade in Priestewitz erreichen. Der Kohle-Gag in der Gegenrichtung ist dagegen mit 250 164 bespannt, die "Gartenerde" für den Dresdner Raum wurde offenbar bevorrechtigt behandelt und über Riesa gefahren.

Lieben Sie Scherenschnitte? Auf einem Damm verläuft die Strecke nördlich der Bk Gröbern, von den dort gerade vorbeikommenden Zügen sind die unteren Bilder entstanden: Eine unerkannt gebliebene 120'er mit ihrem Güterzug brummt in Richtung Falkenberg vorbei, gefolgt von D 872 mit 243 115 und 243 352. Am schönsten ist allerdings der Anblick vom nächsten Sonderzug 93303 kurz nach 12:00 Uhr: Hinter der Hilfslok BR 110 rollen 89 1004 und die kalte "Kreuzspinne" 98 001.. Auch die beiden alten Personenwagen, der erste noch mit Speichenrädern, sind bemerkenswert!

Von der anderen Seite nähert sich nun P 3725 nach Dresden, befördert von 211 057. Die vielen neuen 243'er haben die alten "Holzroller" in den Personenzugdienst verdrängt. Aber was läuft denn da am Schluß mit? 120 343 will nach Dresden, um ihre vier Kühlwagen zur Cavalcade dort auf dem Neustädter Gbf abzuholen. Auch aus Radebeul macht sich einer der neu angeschafften ORT nach Priestewitz auf, als Sdz 93348 rollt 188 301 kurz nach 13:00 Uhr vorbei..

Auf halbem Wege zwischen den Blockstellen Gröbern und Basslitz existiert ein BÜ, auf dem linken Bild passiert ihn 243 100 auf ihrer Fahrt als 93366 nach Dresden. Sie ist auserwählt, als Vertreter dieser BR mit einer in Dresden abgeholten Doppelstockeinheit an der Cavalcade teilzunehmen.

Von der anderen Seite nähert sich dagegen 74 1230 mit einer Garnitur preußischer Personenwagen, als 93304.

Wenig später kehrt 243 352 schon von Leipzig mit D 875 zurück. Hinten sind schon die markanten Gebäude der Bk Basslitz erkennbar.

Ein sehr interessanter Zug ist auch der nur an Freitagen verkehrende E 1994 Dresden-Neustadt-Cottbus. Gebildet wird dieser aus einer Berufsverkehrsgarnitur vom Kraftwerk Jänschwalde. Am 07.04. befördert eine unerkannt gebliebene 132'er insgesamt 6 Doppelstock-Einzelwagen. Immerhin ist diese Wagengattung der Vorläufer der mit der Wende ihren Siegeszug antretenden Wagentypen. Als modernster Zug soll dann wohl auf der Cavalcade die tschechische Mehrsystemlok 230 001 verkauft werden, welche mit vier Komfortwagen als 93330 nach Priestwitz um 14:30 Uhr vorbeirauscht. Und nach Erreichen der Blockstelle Basslitz passiert 243 803 mit P 7749 von Riesa nach Dresden diese.

Im Blockabstand nähert sich nun eine Ansammlung sächsischer Schlepptenderloks: Der "Rollwagen" 38 205 ist Zuglok bei 93305 nach Weißig, am Haken die kalten 19 017, 58 261 sowie 94 2105. Aber ein preußischer "Schnellzug" folgt auf dem Fuße: 93306 mit 38 1182, der kalten 17 1055 sowie zwei Schnellzugwagen. Man beachte auch einmal die harmonische Gestaltung der Blockstelle mit ihren hohen Formsignalen! Früher, vor der Elektrifizierung, gabs bestimmt auch mal Freileitungen!

In Richtung Nordosten strahlt die langsam tiefer fallende Sonne eine mächtige Wolkenwand an, darunter rollt gerade 242 031 mit einem Zement-Gag durch die weite Kurve aus Priestewitz heran, 243 214 befördert dagegen den nur an Freitagen verkehrenden D 1876 nach Leipzig, gebildet aus älteren Bm-Wagen, noch mit den hohen Dächern. Laut Kursbuch ein Zug ohne Gepäckbeförderung und ohne 1.Klasse. Den Trabbi störts nicht!

Zu schön ist der Anblick, um da schon weiterzulaufen! Da röhrt auch schon 132 417 mit E 995 aus Cottbus heran. Eigentlich hängt da eine Personenzuggarnitur am Zughaken, mit Zugdurchlauf aus P 4957 von Frankfurt (Oder). Aber dieser Zug führt für die "Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland" auch Weitstrecken-Kurswagen von Brest nach Dresden-Neustadt mit, für Austausch und Urlaubsabwicklung der dort und im weiteren Bezirk Dresden stationierten Soldaten. Und rechts entschwindet D 936 in Richtung Salzwedel, heute sogar mit Speisewagen.

Aber auch ein Blick in die andere Richtung ist reizvoll: Dem U-Boot 119 158 traut man offenbar zu, die Cavalcade nicht durch einen Lokschaden zu stören, als 93326 rollt sie mit 4 Kesselwagen fast genau um 15:00 Uhr vorbei. Im Blockabstand folgt 118 793 zur zweiten Tour, diesmal mit einem Lgo, komisch, in der Gegenrichtung ist sie mir durch die Lappen gegangen. Oder ist sie da über Kamenz gefahren, sie ist ja wohl sowieso dort stationiert?

Kurz vor 16:00 Uhr rollt dann P 3726 nach Leipzig heran, wiederum mit 211 057 bespannt. Und auch 120 343 hat ihre Kühlwagen im Neustädter Gbf aufgenommen und folgt nun dem Personenzug als Sdz 93324 bis Priestewitz. Vier neu angestrichene Kühlwagen waren aber offenbar nicht verfügbar, vielleicht merkt es ja keiner, daß der letzte Wagen schon einige Gebrauchsspuren durchs Land trägt! Aber nun auf nach Priestewitz!

Vorerst komme ich aber nicht über die Einfahrt von Priestewitz hinaus: 132 417 poltert mit E 996 nach Cottbus(-Frankfurt/Oder) über die Weichen, ohne die Weitstreckenwagen. Die werden erst mit E 998 in Richtung Osten zurückbefördert. Kurz darauf folgt auf krummem Strang Sdz 93318 mit E04 01 und E18 31, welcher hier übernachten wird, inzwischen mit 4 Postwagen. Nun ist der Weg frei für P 3727 nach Dresden, welcher pünktlich um 16:48 Uhr den Bahnhof verläßt, befördert von 242 184.

Später umrunde ich die schon mit Zügen vollgestellte Abstellanlage von Priestewitz. Ein Bild von der hochrädrigen 62 015 hat eigentlich immer seine Reize, auch ein Blick auf den gesamten auf seinen Einsatz am nächsten Tag wartenden Sdz 93312 ist möglich: 62 015, 24 004, 64 007, 86 049 und 80 023 stehen hintereinander. Und: Auch im Jahr 1989 wird schon die Feuerwehr zur Wasserversorgung der Dampfloks herangezogen!

Langsam wird es dunkler. Das Panorama der abgestellten Züge ist trotzdem noch reizvoll: Ganz links wartet 132 468 mit ihrem Schnellzug, flankiert von 44 1093 im Gleis mit geerdeter Fahrleitung, daneben 86 001 und 62 015. Und ganz rechts, hinter dem provisorischen Kohlenbansen, übernachtet 120 343 mit ihren Kühlwagen. Noch rechtzeitig für eine Fotoserie rollt später 23 1113 mit einer Reihe E5-Wagen ins Überholgleis, sie rangiert dann auch noch zügig in die Nebengleise hinein.

Aber nun heißt es, Abschied zu nehmen. Ein letzter Blick sei noch im Vorübergehen von der Fußgängerbrücke geworfen, dann steige ich kurz vor 18:00 Uhr in P 3728, welcher mich nach Riesa bringt. Eine Stunde Zeit bis zur Abfahrt D 576, hinein in die MITROPA-Gaststätte. Ziemlich voll ist sie, entnervte Kellner wuseln etwas plan- und ziellos herum, ich schaffe es gerade in der Zeit, ein paar Würste und ein Bier zu konsumieren, da fährt der Berliner Schnellzug auch schon auf Gleis 1 zum Umspannen ein. Er bringt mich pünktlich nach Berlin-Schöneweide, mit 3 Minuten Verspätung öffne ich dort um 21:40 Uhr die wie immer schwergängige Tür des "Langholzwagens".